Die Nister ist mit 23 zum Teil vom Aussterben bedrohten und in der FFH-Richtlinie aufgeführten Fischarten, sowie Bach- und Flussperlmuschelbeständen, ein Juwel unter den Gewässern der Mittelgebirge. Typische Vertreter der lokalen Fischfauna sind neben Äsche, Lachs und Forelle auch Barbe, Döbel, Hasel, Rotauge und Nase. Der Lachs als Zielart des Programmes „Lachs 2020“ kehrt schon seit 1998 jährlich zurück und reproduziert seit mindestens 12 Jahren erfolgreich.
Durch ihre Strukturgüte und Vielfalt an Lebensräumen verfügte die Nister seit jeher über außerordentliche starke Nasen- und auch Barbenbestände, die sich bis hinauf in die untere Forellenregion erstreckten. In den 1990er Jahren belegten Kontrollbefischungen auf 23 km Bachlänge ca. 30.000 Nasen und 10.000 Barben. Selbst in Jahren mit größter Verschmutzung (Nährstoffbelastung und daraus resultierendes Algenwachstum) trug die Nase als Algenfresser dazu bei, das ökologische Gleichgewicht zu erhalten. Doch die individuenstarken Bestände sind verschwunden.
Der Zusammenbruch der Nasenbestände begann im Winter 1997/1998 mit dem Auftreten der ersten Kormorane – einem bis dahin in den Mittelgebirgen unbekannten, weil gebietsfremden, Vogel. Der Kormoran traf auf ein unvorbereitetes Ökosystem. Dutzende Vögel nahmen an hocheffizienten „Treibjagden“ in den Winterstandorten von Cypriniden-Schwärmen (Karpfenartige: Nase, Barbe, Rotauge, Döbel, etc.) teil. Die Zahl der Kormorane steigerte sich von anfangs ca. 80 auf 140-150 Vögel im Jahre 2002. Alle Schlafplätze befanden sich innerhalb eines Radius von 30 km von der Nister entfernt, die dementsprechend mehrmals pro Tag angeflogen wurde.
In Abstimmung mit Behörden und Verbänden wurden zunächst als Pilotprojekte nicht-letale und anschließend letale Vergrämungen mit jeweils begleitendem Monitoring beschlossen, die allerdings zunächst keinen Erfolg brachten. In späteren Jahren konnte die Anzahl der Kormorane im Winterhalbjahr auf 50-60, in 2009 auf ca. 30 Tiere (10 im Sommer) gesenkt werden. Aus den Pilotprojekten ist die heutige Kormoranverordnung des Landes Rheinland-Pfalz entstanden. Doch diese Maßnahmen kamen zu spät für die Fischbestände der Nister.
Die Bestandsrückgänge, festgestellt durch Elektrobefischungen, fanden in bisher ungeahnten Dimensionen statt. Mittlerweile ist die Äsche verschwunden, die Bestände von Barbe und Nase betragen maximal noch 5% der Bestandgröße Mitte der 1990er Jahre. Im Gegenzug haben sich Kleinfischbestände, wie Groppe, Schmerle und Elritze, mehr als verzehnfacht. Diese nach Meinung von Wissenschaftlern dramatischen Veränderungen stehen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten des Kormorans.
Foto: Die Nase weidet mit ihrem hornigen Maul und der scharfen Unterlippe effektive Auwuchsalgen ab.
Foto: Blick von der Nister-Brücke in Stein-Wingert auf die Nister. Algen wuchern über die gesamte Gewässerbreite
Nahezu gleichzeitig tritt seit knapp zehn Jahren alljährlich ein in diesem Maße ebenfalls unbekanntes Phänomen auf: eine zunehmende Massenentwicklung von Algen und damit verbunden pH-Werte von teils über pH 9,9 im Frühjahr und Sommer. Durch massenhaftes Absterben nach der Algenblüte entsteht organischer Schlamm, dessen Abbau massiv Sauerstoff zehrt. Das Kieslückensystem, das für viele Arten für die Reproduktion (Lachs, Nase, Barbe, Flussperlmuschel) aber auch für die Selbstreinigungskraft des Gewässers (Mikro- und Makrozoobenthos) von höchster Bedeutung ist, verschlammt. Teils bedecken Schlammmassen von über 1cm Dicke fast den gesamten Bodengrund.
Die Bestandsexplosion der Kleinfische scheint auf den drastischen Rückgang von Fressfeinden, vor allem der Barbe (aber auch Döbel, Aal), zurückzuführen sein. Die Groppe wiederum könnte in hohen Dichten als effektiver Laichräuber und Fressfeind juveniler Fische in Betracht kommen, was Bestandsrückgänge bei empfindlichen Arten (bspw. Lachs) zur Folge hätte. Für das massive Algenwachstum scheint vor allem das Verschwinden von Konsumenten in Frage zu kommen, da die übrigen Belastungsquellen nach bisherigen Kenntnissen nicht zugenommen haben. Wichtigster Konsument der Algen ist (neben Makrozoobenthosorganismen) die Nase.
Foto: Nasenfraßspur auf algenüberwachsenem Untergrund
Die Nase weidet als Nahrungsspezialist mit ihrem harten Unterkiefer und der scharfen Unterlippe Aufwuchsalgen ab. Schwarmweise werden verschiedene Weideplätze aufgesucht und so der Untergrund von übermäßigem Algenbewuchs freigehalten. Die Nase nimmt eine Schlüsselfunktion ein, da übermäßiges Algenwachstum Ursache für starke pH-Schwankungen (in den alkalischen Bereich) und Sauerstoffschwankungen sind. Die 30.000 Nasen der Nister konsumierten dabei, eher unterschätzt, ca. 270 Tonnen Algen im Jahr. Umgekehrt heißt dies, dass bei einem Bestandsrückgang von 80% (Stand 2004) ca. 216 Tonnen Algen pro Jahr nicht mehr abgeweidet werden. Dieser Wert bezieht sich auf den dünnen Algenrasen, bevor dieser auswächst, seine Biomasse also nochmals vervielfacht. Arten wie die Barbe, die durch Stöbern im Substrat und Umlagern von Steinen zum Absterben der Algen beitragen, und Makrozoobenthosorganismen sind in dieser Rechnung noch nicht berücksichtigt.
Am Beispiel der Nister wird gezeigt, wie sensibel ein Ökosystem auf vormals nicht im Nahrungsgefüge vorhandene Arten reagiert. Das Auftreten des Kormorans führte hier höchstwahrscheinlich nicht nur zum bloßen Rückgang von Fischbeständen. Das gesamte ökologische Gleichgewicht scheint aus den Fugen geraten zu sein. Die steigende Biomasse der Algen fixiert immer mehr Nährstoffe, die ansonsten ausgeschwemmt würden, und setzt sie innerhalb kurzer Zeit nach Absterben frei – mit allen negativen Folgen für das Gewässer und seine Bewohner (inklusive algenfressenden Makrozoobenthosorganismen). Ohne Eingreifen werden sich diese Teufelskreise verstärken.
Die Brisanz dieses Themas ist überaus deutlich. Verändert sich der Zustand der Nister nicht zum Besseren, so ist das Erreichen eines von der EG-Wasserrahmenrichtlinie geforderten „guten ökologischen Zustands“ nicht realisierbar. Auch ob unter diesen Bedingungen weiter Lachse erfolgreich laichen, darf bezweifelt werden. Besonders dramatisch entwickelt sich die Situation für die Flussmuscheln. Die extrem seltene Flussperlmuschel ist nur noch mit 28 Einzeltieren vertreten. Wie lange die sich zunehmend verschlechternden Lebensbedingungen noch ertragen werden können ist nicht vorhersehbar. Auch für andere Muschelarten steigt das Risiko rasant. An einer Dauerbeobachtungsstrecke musste in den letzten Jahren ein Bestandsrückgang sowohl der Bachmuschel als auch der Teichmuschel beobachtet werden.
So könnte falsch verstandener Artenschutz zu Gunsten des gebietsfremden Kormorans das Schicksal hoch gefährdeter heimischer Arten besiegeln.